Dauerhafte Benutzung eines EU-Führerscheins in Deutschland bei MPU-Erfordernis?

Die Erteilung von Fahrerlaubnissen an Deutsche sowie das Verfahren, wenn gegen einen Fahrerlaubnisinhaber Zweifel an seiner Eignung, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr zu führen, richten sich nach der zum 01.01.1999 in Kraft getretenen Fahrerlaubnis Verordnung (FeV).

Diese Verordnung ist die nationale Umsetzung der geltenden Führerscheinrichtlinien der Europäischen Union (EU). Nach der Fahrerlaubnis-Verordnung richtet sich auch die Gültigkeit und Anerkennung ausländischer Führerscheine durch die inländischen Behörden und Gerichte.

Da die letzte Führerschein-Richtlinie der EU aus dem Jahre 1991 nicht gänzlich innerhalb der vorgesehenen Frist umgesetzt werden konnte, galt zwischenzeitlich bis zum Inkrafttreten der FeV eine Übergangs-Verordnung, die nunmehr keine Rolle mehr spielt.

Bis zu einer bahnbrechenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2004 wurden vielfach noch Strafverfahren gegen Erwerber einer Fahrerlaubnis in einem anderen EU-Land eingeleitet und durchgeführt, wenn diese beim Erwerb des Führerscheins gegen das sog. Wohnsitzprinzip verstoßen hatten. Dieses Prinzip fordert als Voraussetzung für die Erteilung einer europäischen Fahrerlaubnis, dass der Antragsteller zuvor 185 Tage lang ununterbrochen seinen Wohnsitz bzw. sogar seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt in dem betreffenden Land hatte. Gingen die deutschen Behörden davon aus, dass dieses Prinzip umgangen worden war, wurde die entsprechende Fahrerlaubnis nicht anerkannt und ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne die erforderliche Fahrerlaubnis eingeleitet.

Mit dem Urteil vom Frühjahr 2004 hat der Europäische Gerichtshof jedoch entschieden, dass es einem Staat nicht zusteht, einer Fahrerlaubnis aus einem anderen EU-Land auf Dauer die Anerkennung wegen der Umgehen des Wohnsitzprinzips zu versagen. Die Überprüfung, ob das Wohnsitzerfordernis eingehalten wurde oder nicht, obliegt danach nur der ausländischen Behörde, die den Führerschein ausstellt.

Gleichzeitig hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass auch dann, wenn jemandem in einem Land der EU die Fahrerlaubnis durch ein Strafgericht entzogen worden und die von diesem Gericht verhängte Sperrfrist abgelaufen war, einer EU-Fahrerlaubnis die Anerkennung nicht versagt werden darf, wenn der ausländische Führerschein nach dem Ablauf der Sperrfrist erteilt wurde.

Keine Entscheidung getroffen wurde allerdings über die Fälle, in denen es mit dem Ablauf der Sperrfrist nicht getan war, sondern auf den Bewerber um eine erneute Fahrerlaubnis noch eine Eignungsuntersuchung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) wartete. Das war beispielsweise der Fall, wenn der Verurteilte bei der Tat eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,60 Promille hatte. Diese Fallgruppe stellt zur Zeit ein Problemfeld dar, weil viele davon betroffene Verurteilte versuchen, das MPU-Erfordernis dadurch zu umgehen, dass sie sich in europäischen Staaten eine Fahrerlaubnis verschaffen, die keine MPU-vergleichbare Befähigungsüberprüfung kennen. In diesen Fällen erfolgt teilweise eine Untersagung, von der EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, sofern vom Fahrerlaubnisinhaber nicht noch ein entsprechendes positives MPU-Gutachten beigebracht wird. Die entsprechende Praxis der Führerscheinbehörden wird bislang von den Verwaltungsgerichten bestätigt.

Mit dem derzeitig geltenden Regelwerk ist es somit gelungen, den Erwerb einer Fahrerlaubnis im Ausland zu dem Zweck, mit dieser neuen ausländischen Fahrerlaubnis nach vorheriger Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis wiederum in Deutschland am Straßenverkehr teilzunehmen, weitestgehend dann zu unterbinden, wenn gegen die Fahreignung durchgreifende Zweifel bestehen.. Entgegen den Angaben zahlreicher unseriöser Anbieter sog. Auslandsführerscheine ist bei vorheriger rechtskräftiger Entziehung oder Versagung der Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ein Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer nicht möglich, wenn nach wie vor gegen den Erwerber einer EU-Fahrerlaubnis im Inland Bedenken gegen seine Fahreignung bestehen.

Für die Beurteilung ausländischer Führerscheine sind also folgende Fallgruppen zu unterscheiden:

  1. Gegen den Erwerber einer ausländischen Fahrerlaubnis liegt im Inland nichts vor (keine Versagung des Erwerbs durch die Verwaltungsbehörde, keine gerichtliche Entziehung oder isolierte Sperrfrist):

    Der potentielle Erwerber muß in dem Land, in dem er die Fahrerlaubnis erwerben will, an mindestens 185 Tagen im Jahr seinen "ordentlichen Wohnsitz" haben. Dieses Erfordernis ist auch nach der EuGH-Entscheidung keineswegs weggefallen. Vielmehr hat der EuGH lediglich untersagt, das Vorliegen dieser Voraussetzung zur Grundlage einer Anerkennung des EU-/EWR-Führerscheins zu machen.

    Für die Praxis bedeutet dies: Ein Fahren im Inland mit dem ausländischen Führerschein unter Verstoß gegen das 185-Tage-Gebot stellt kein strafbares Fahren ohne Fahrerlaubnis dar. Aber:

    Sobald die deutsche Fahrerlaubnisbehörde, etwa durch die Polizei, Kenntnis erlangt, dass das Wohnsitzprinzip beim Erwerb des EU-Führerscheins möglicherweise verletzt wurde, leitet sie den Fall an das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) weiter. Das KBA bittet die (ausländische) Ausstellungsbehörde dann um nochmalige Überprüfung des Wohnsitzerfordernisses und ggf. um Rücknahme der Fahrerlaubnis. Ein Anspruch auf Durchsetzung einer erbetenen Rücknahme der Fahrerlaubnis besteht allerdings nicht (die Bundesrepublik kann allerdings in einem solchen Fall ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 EG einleiten).

  2. Dem Erwerber einer ausländischen Fahrerlaubnis war zuvor die Erteilung einer Fahrerlaubnis im Inland versagt oder ihm seine Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen worden:

    a. Der Erwerb lag vor dem 01.01.1999 (also während der Geltung der Übergangs-VO):

    Die Benutzung dieses Führerscheins im Inland ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs strafbar. Dieses Urteil soll neben dem EuGH-Urteil auch weiterhin anwendbar sein.

    b. Der Erwerb lag nach dem 01.01.1999 (also während der Geltung der neuen Fahrerlaubnis-Verordnung):

    Hier gilt grundsätzlich das oben Gesagte zur Anerkennung. Aber es sind auch hier wiederum zwei Fälle zu unterscheiden:

    1. Erwerb während noch andauernder Sperrfrist:
      Eine im Ausland erworbene Fahrerlaubnis muß im Inland nicht anerkannt werden. Das Führen eines Kfz im öffentlichen Verkehr ist strafbar.

    2. Erwerb nach Ablauf der Sperrfrist:
      Auch hier sind zwei Unterfälle zu beachten:

      a. Keine MPU-Anordnung oder sonstige gesonderte Eignungsvoraussetzung:

      Bislang ging die Verwaltung davon aus, daß ein Führen im Inland nicht zulässig sei; nach der Entscheidung des EuGH dürfte sich diese Verwaltungsauffassung nicht länger halten lassen. Der EU-Führerschein muß anerkannt werden.

      b. Anordnung einer MPU ist geboten:

      Da die Bestimmungen europaweit insoweit noch nicht harmonisiert sind, kann der nationale Gesetzgeber hier Hürden errichten. Zwar ist das Führen eines Kfz im Verkehr mit einem gegen deutsche MPU-Maßstäbe erworbenen EU-Führerschein nicht strafbar, aber die deutschen Verwaltungsbehörden können dem Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis das Recht zur Benutzung derselben innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aberkennen, wenn er kein positives Fahreignungsgutachten beibringt.

      Bund und Länder haben sich insoweit geeinigt, daß bei Zweifeln an der Eignung beispielsweise die Polizei eine entsprechende Mitteilung an die zuständige Fahrerlaubnisbehörde macht und diese sodann eigene Maßnahmen zur Entziehung oder Eignungsüberprüfung einleitet. Bevor dies geschieht, wird seitens des Führerscheinbüros über das KBA bei der ausländischen Ausstellerbehörde nachgefragt, ob vor der Erteilung der inländische Entzug bekannt war und ob dort eine entsprechende Eignungsüberprüfung durchgeführt wurde. Kommt keine Antwort oder wurde keine Eignungsüberprüfung vorgenommen, können die deutschen Behörden geeignete Maßnahmen ergreifen, sofern der Anlass für die Eignungsbedenken nicht länger als zehn Jahre zurückliegt

    Es muss unter diesen Umständen als durchaus fraglich bezeichnet werden, ob sich die Kosten und Umstände tatsächlich lohnen, zur Umgehung einer MPU in Deutschland eine Fahrerlaubnis im EU-Ausland zu erwerben.